Digitalisierung braucht visionäres Denken

Mit einem Kommentar von

Thomas Hus

Wirtschaftsprüfer

Deutschland verschläft die Digitalisierung

Wenn nicht bald ein Umdenken stattfindet, läuft die Wirtschaft Gefahr, international Anschluss zu verlieren – seit Jahren geistern diese und ähnliche Warnungen durch die Presse und durch Chefetagen. Die Klischees sind bekannt: Das Internet sei schlecht, Behörden inkompetent und viele Mittelständler im digitalen Dornröschenschlaf. Die Gründe der Skepsis des Mittelstands gegenüber der Digitalisierung sind jedoch vielfältig – einige sind nachvollziehbar, andere offenbaren ernste Probleme.

Gebetsmühlenartig fordern Experten, Unternehmen sollten gerade in Krisenzeiten die Digitalisierung vorantreiben, um endlich das Ende der ewigen Zettelwirtschaft einzuleiten. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich Unternehmen jetzt auf die Digitalisierung konzentrieren“, drängt etwa Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom. Sein Urteil: „Gerade im Mittelstand passiert einfach zu wenig.“

Neu ist dieses Credo nicht. Und tatsächlich scheint die Corona-Pandemie immerhin für etwas Aufwind zu sorgen: Fast 50 Prozent der Mittelständler möchte sich mit Hilfe externer Berater digitalisieren, meldete kürzlich eine Umfrage unter 323 Geschäftsführern der Berater-Plattform „Consultport“.

Die nackten Zahlen sagen etwas anderes: Nur wenige Geschäftsmodelle sind bislang digitalisiert, wie eine Studie der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) belegt. Digitale Lösungen spielen im Mittelstand demnach immer noch eine untergeordnete Rolle. Am weitesten abgeschlagen ist der Maschinenbau. „Das ist alarmierend, ist diese Branche doch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft“, sagt Gerrit Sames, der an der THM lehrt und die Studie mitverfasst hat. „Möchte der Mittelstand seine noch gute Position im globalen Wettbewerb halten, muss er sich dringend weiter digitalisieren“, findet der Wirtschaftsforscher, der früher selbst einmal Chef eines mittelständischen Unternehmens war. „Dass wir bei der Digitalisierung hinterherhinken, ist noch freundlich formuliert“, sagt Sames im Gespräch mit WELT.

Manch ein Geschäftsführer habe sich über Jahre zurückgelehnt – volle Auftragsbücher hätten wenig Anlass zum Umdenken gegeben. Doch sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen, könne sich kaum noch jemand leisten. „Die Pandemie hat viele kalt erwischt. Dass man zum Beispiel keine digitalen Onlineshops oder Showrooms für seine Produkte anbietet, rächt sich nun, da kaum noch physischer Kundenkontakt stattfindet.“

Start-ups in der Vorreiterrolle

Nun drängen immer mehr Start-ups auf den Markt, die die Industrie 4.0 im Mittelstand etablieren wollen. Beispielsweise die Münchner Softwarefirma Actyx, die eine Entwicklerplattform zur Automatisierung von Prozessen in der produzierenden Industrie anbietet. Diese basiert auf einem dezentralen Edge-Computing-System, die Datenspeicherung erfolgt durch die Bildung einer Blockchain. Was kompliziert klingt, spart in der Praxis vor allem Zeit und verkürzt Arbeitsschritte erheblich – die Umrüstung von Maschinen etwa.

Kurz gesagt: Das Zusammenspiel zwischen Maschine und Mensch soll produktiver werden. Per WLAN werden Mitarbeiterhandys und Anlagen verbunden. Pro angeschlossener Maschine zahlen Firmen 24 Euro für ein monatlich kündbares Software-Abo. Was früher Jahre dauern konnte, könnte mithilfe von Actyx innerhalb weniger Wochen gelingen, sagt Vorstandsvorsitzender Oliver Stollmann zu WELT. Das Ziel der 20-köpfigen Firma: „Wir wollen für Fabriken das werden, was Android und iOS für die Welt der Smartphones sind.“

Nicht ganz so hoch hat sich der Beckumer Mittelständler Beumer Group seine Ziele gesteckt, als er ein betriebsinternes Start-up gründete. Der auf Gepäckabfertigung spezialisierte Maschinenbauer setzt im Kundendienst seit kurzem eine Videobrille ein. Der Vorteil: Weil Probleme einer Anlage sich nur schwer per Telefon vermitteln lassen, kann der Kundendienst durch die Bildübertragung Abhilfe schaffen, ohne vor Ort zu sein. Außerdem sollen Kunden in der Videobrille Anweisungen eingespielt werden, damit sie selbst Hand an die Maschinen anlegen können.

Doch Gadgets wie Videobrillen werden auch zukünftig eher die Ausnahme bleiben. Besonders im Vertrieb werden Experten zufolge die meisten Möglichkeiten verschenkt. Um Mittelständlern Verbesserungen näherzubringen, hat sich kürzlich die Initiative „Maschinenraum“ aus 14 Unternehmen gegründet. Ziel ist der Aufbau eines „geteilten innovativen Ökosystems“, sagte Mitgründer Tobias Rappers WELT im Juni. Soll heißen: „Unternehmen tauschen Erfahrungen und Herangehensweisen untereinander aus.“ Denn oftmals seien Probleme trotz unterschiedlicher Branchen relativ gleich.

„Die Digitalisierung ist kein beängstigendes Großprojekt von mehreren Monaten mehr, sondern innerhalb weniger Wochen erledigt.“

So wirbt Maschinenbauer Stollmann. Damit spielt der Münchner auf den Angstfaktor an, der besonders im Mittelstand eine Rolle zu spielen scheint. So gaben in einer Bitkom-Studie von 2017 mehr als ein Drittel von 500 befragten Unternehmen an, man habe Probleme, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten.

Auffallend dabei: Je kleiner der Betrieb, desto größer die Zurückhaltung gegenüber der Industrie 4.0. Jedes fünfte Unternehmen bangt im Zuge der Digitalisierung sogar um die Existenz, heißt es in dem Papier. Immerhin: 2020 ist es nur noch jedes zehnte. Den Stand der Digitalisierung des eigenen Hauses bewerten Mittelständler bis 500 Mitarbeiter aktuell aber lediglich mit der Note „ausreichend“.

Ganz unberechtigt sind die Sorgen also nicht. Auch Skepsis spielt eine Rolle. Von unnützer Technikspielerei und den Profitinteressen der IT-Wirtschaft sprechen Digitalisierungsgegner häufig. Doch die realen Befürchtungen einiger Unternehmen sind oft praktischer Natur. Die Industrie 4.0 kann auch eine Bedrohung sein, schreibt etwa Stephan Dörner, Chefredakteur des Onlinemagazins für Digitalunternehmer „t3n“. Zwar geht es bei den meisten Digitalisierungsprozessen um ein effizienteres Zusammenspiel von Mensch und Maschine.

Doch die oft zitierte Befürchtung, Roboter würden Menschen ersetzen und Jobs vernichten, ist nicht unbegründet. Das glaubt zum Beispiel der ungarisch-amerikanische Wirtschaftshistoriker John Komlos. So habe beispielsweise die Insolvenz des Fotofabrikanten Kodak 2011 rund 145.000 Mittelklassejobs vernichtet. Führende Digitalunternehmen wie Facebook hätten vergleichsweise wenige Jobs geschaffen – dort sind derzeit etwa 45.000 Menschen beschäftigt. Auch Markus Väth, Bestseller-Autor und Geschäftsführer der auf New Work spezialisierten humanfy GmbH glaubt, dass die Industrie 4.0 unausweichlich tausende Jobs kosten wird.

„Die sichtbare Digitalisierung wird allerdings wahnsinnig überschätzt. Viele Unternehmen laufen kopflos jedem Trend hinterher und merken nicht, worum es eigentlich geht“, sagt Väth zu WELT. Wichtiger sei die „unsichtbare“ Digitalisierung: Die Vernetzung von Maschinen, Steuerungstechnik und Logistik, sprich: die betriebsinterne Prozessoptimierung und Verknüpfung. Auf dem hiesigen Markt gebe es bereits viele fortschrittliche Trends, meint der New-Work-Experte aus Nürnberg – sie müssten sich nur noch durchsetzen.

Allerdings fehle es Unternehmern an Mut: „Wir Deutschen sind gewohnt, sehr vorsichtig und schon im Voraus mit möglichen Fehlern zu planen. Visionäres und riskantes Denken haben wir eher nicht gelernt.“ Das, glaubt Väth, sei in den vergangenen Jahren den Amerikanern und Chinesen überlassen worden. „Nun hinkt Deutschland hinterher. Große Unternehmen rennen wie verrückt auf Konferenzen und suchen panisch nach einem digitalen Geschäftsmodell.“ Um eine „Zeitenwende hin zur Innovationswirtschaft“ zu vollziehen, brauche der Mittelstand vor allem einen „Mentalitätswandel“, meint Väth.

Ein Blick in die Zukunft

Dass an der Industrie 4.0 ohnehin kein Weg vorbeiführt, bekommen Unternehmen oft zu hören. Allerdings häufen sich auch Berichte vom Scheitern an der Digitalisierung. So ergab 2017 eine Studie unter 200 Mittelständlern der Berliner IT-Beratung „Kobaltblau“, dass 40 Prozent der Unternehmen negative Erfahrungen mit Digitalisierungsprojekten gemacht haben. Fast die Hälfte der Befragten bemängelte, dass der erwartete Nutzen sich nicht eingestellt habe. Jedes sechste Vorhaben scheiterte komplett.

Begeistert ist hingegen der Duisburger Metallhändler Klöckner&Co Deutschland. Der Betrieb investierte einen „niedrigen sechsstelligen“ Betrag für die Vernetzung seiner Maschinen mittels Actyx. „Prozesse im Werk können nun digital gesteuert und Daten intelligent und standortübergreifend analysiert werden“, so Geschäftsführer Sven Koepfchen. Qualität und Effizienz in der Produktion würden dadurch steigen, Kunden könnten schneller bedient werden. Zwar stecken Tech-Investoren wie zum Beispiel Paua Ventures viel Geld in Start-ups wie Actyx. Der Erfolg der noch relativ kleinen Branche ist aber nicht zuletzt wegen der Skepsis bislang überschaubar. Schwarze Zahlen seien bei Actyx erst in ein paar Jahren in Sicht, sagt CEO Stollmann. Noch werde vor allem in die Weiterentwicklung investiert. Zudem konkurrieren IT-Start-ups nicht nur untereinander – auch Software-Riesen wie SAS, Google oder Microsoft werkeln an der Fabrik der Zukunft.

Unternehmen wie Klöckner sind ohnehin die Ausnahme. Nur eine Handvoll Mittelständler können sich mit der Industrie 4.0 anfreunden. Die Gründe überraschen teilweise: Die Einführung neuer Software kann sehr lange dauern, oft werden Digitalisierungsprojekte als zu komplex und zu teuer angesehen. Laut der THM-Studie sind die häufigsten Gründe des Scheiterns fehlende Kapazitäten und mangelndes Know-how. Besonders auffallend: Zwei Drittel der Befragten sehen überhaupt keinen wirtschaftlichen Nutzen in der Digitalisierung.

Ob die veränderten Arbeitsbedingungen durch die Corona-Pandemie einen Richtungswechsel einleiten, bleibt abzuwarten. Experten warnen, die Situation dürfe nicht als großer Aufbruch hin zur Industrie 4.0 missinterpretiert werden. Momentan zeige sich zwar, was digital möglich ist, sagt Markus Väth. Allerdings warnt er: „Mitarbeiter mit modernen Laptops ausstatten und das Homeoffice etablieren, bedeute noch lange keine Digitalisierung.“

BANSBACH kommentiert

In Anlehnung an Industrie 4.0 sind weitere Initiativen entstanden, die unter „Büro 4.0“ oder „Steuerberatung 4.0“ kursieren. Die Finanzverwaltung ist hier einer der wesentlichen Treiber, die immer mehr Daten der Steuerpflichtigen auf digitalem Weg einfordert, wie z.B. Steuererklärungen, E-Bilanz, Buchhaltungsdaten aus Rechnungswesen usw. Auch wir arbeiten daran, die Kommunikation mit den Mandanten digital und damit sicherer und effizienter zu gestalten.

Lassen Sie uns darüber sprechen, welche Prozesse in Ihrem Haus für eine digitale Anwendung vorhanden sind und wie wir Sie dabei unterstützen können.

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