Die große Entlastungsillusion

Mit einem Kommentar von

Thomas Hus

Wirtschaftsprüfer

Im Angesicht der Energiekrise versprechen Politiker nicht nur Bedürftigen, sondern auch der Mittelschicht immer mehr Hilfen. Die findet das angemessen, weil sie ja das Land am Laufen halte. Doch das ist ein Denkfehler.

Die aktuelle Krise mit Inflation und Energiepreisschock trifft die Bevölkerung in der ganzen Breite und mit voller Wucht. Der politische Reflex auf diese Ausnahmesituation ist der gleiche wie schon in den zwei Corona-Jahren: Alle paar Monate wird ein neues Hilfspaket mit allerlei Einzelmaßnahmen auf den Weg gebracht. Weil auf diese Weise die Debatte über mögliche Entlastungen niemals abreißt, wächst bei Bürgern und Unternehmen die Erwartung, der Staat könne die Härten weitgehend abfedern.

Doch das ist ein Irrtum, wie CDU-Chef Friedrich Merz zu Recht warnt. Der Oppositionsführer wirbt für weniger, aber dafür gezielte Maßnahmen vor allem für Wenigverdiener. Aber die Koalitionäre nähren lieber unverdrossen die Entlastungsillusion der ganzen Bevölkerung. Und der Bundeskanzler verspricht zum Auftakt der Klausurtagung in Meseberg, jetzt rasch zu liefern. Olaf Scholz will all denjenigen helfen, die bis zu 4000 Euro im Monat brutto verdienen. Das sind viele: Das sogenannte mittlere Gehalt, bei dem eine Hälfte mehr, die andere weniger verdient, liegt in Deutschland bei rund 3.300 Euro. Mit einer Entlastung demnach deutlich mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer erreichen zu wollen, ist vermessen. Hinzu kommt noch, dass die Koalitionäre vorhaben, auch Rentner und Studenten beim dritten Hilfspaket einzubeziehen. Inzwischen ist gar die Rede davon, die finanzielle Unterstützung des Staates müsse „die breite Mitte“ erreichen. Damit wäre die Grenze dann erst bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 60.000 Euro erreicht.

Außen vor blieben bei den staatlichen Hilfen zur Bewältigung des Energiepreis-Schocks und der insgesamt hohen Inflation nur diejenigen, die sich zur oberen Mittelschicht oder gar zu den relativ Reichen zählen können. Allerdings gehört laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft nicht einmal jeder Fünfte in Deutschland einer dieser beiden einkommensstärksten Gruppen an und verfügt somit über mindestens 150 Prozent des mittleren verfügbaren Einkommens. Die Hälfte der Bürger zählt zur Mitte im engeren Sinne. Die untere Mitte und die Gruppe der relativ Armen ist etwa gleich groß und umfasst zusammen ein Drittel der Bevölkerung.

Wollte der Staat tatsächlich neben dem einkommensschwächeren Drittel der Gesellschaft auch noch dem Großteil der Mittelschicht einen finanziellen Ausgleich zu den gestiegenen Energiekosten zahlen, stellt sich die Frage: Wer soll das bezahlen? Die restlichen knapp 20 Prozent der Bevölkerung werden die gewaltigen Summen mit Sicherheit nicht stemmen können. Die krisengebeutelte Wirtschaft zusätzlich zu belasten, dürfte sich in dieser Konjunkturlage von selbst verbieten. Auch die Idee einer „Übergewinnsteuer“ für die wenigen Konzerne, die von den gestiegenen Energiepreisen profitieren, ist juristisch heikel und brächte realistischerweise zudem keineswegs die gigantischen Summen, die ihre Anhänger suggerieren.

Damit bleibt nur der Weg über immer neue Schulden. Genau diese Lösung favorisieren Grüne und große Teile der SPD. Doch schon die Pandemie hat die öffentlichen Ausgaben aus dem Ruder laufen lassen. Die Sozialversicherungen brauchen immer mehr Steuermittel, um noch über die Runden zu kommen. Für die überfällige Aufstockung des Bundeswehretats hat die Ampel bereits einen riesigen auf Pump finanzierten Schattenhaushalt – euphemistisch als Sondervermögen tituliert – gebildet. Auch der neue Klimaschutzfonds ist schuldenfinanziert. Und überall geht es um gigantische Summen, die in der Zukunft erst noch verdient werden müssen.

Angesichts dieser gewaltigen Finanzlücken im Staatshaushalt immer neue Entlastungsversprechen für immer größere Bevölkerungsteile abzugeben, ist fahrlässig. Zumal das verteilte Geld wieder ausschließlich in den Konsum fließen würde. Die Koalitionäre brauchen jetzt Rückgrat, um die Wünsche der Lobbyisten abzuwehren. Nicht jedes Unternehmen muss und kann gerettet werden. Scholz sollte sich auch nicht beeindrucken lassen von der Warnung des Sozialverbands VdK, dass die Wut der Rentner von Woche zu Woche wachse. Die Vermögensverteilung im Lande zeigt, dass keineswegs alle Ruheständler ohne finanzielle Reserven dastehen. Nur auf die staatliche Rente zu schauen, ergibt kein vollständiges Bild der sozialen Lage der Senioren. Kurzfristige Geldtransfers oder Vergünstigungen wie das 9-Euro-Ticket oder der dreimonatige Tankrabatt für große Teile der Gesellschaft sind der falsche Ansatz in dieser Wirtschaftskrise. Denn es handelt sich um einen angebotsseitigen Konjunkturschock, der vom Ausland her Deutschland erreicht hat.

Schon vor dem barbarischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sorgten Rohstoffengpässe, wiederholte Produktionsunterbrechungen in China und Lieferkettenprobleme für steigende Inflationsraten. Die Ukrainekrise hat zudem eine veritable Energiekrise obendrauf gesetzt. Von den horrenden Preissteigerungen sind hierzulande alle betroffen, und kaum jemand bleibt verschont oder profitiert gar von der Krise. Die Gesellschaft insgesamt erlebt einen Wohlstandsverlust. Das ist schmerzhaft, kann aber mit kurzfristigen Transfers und Vergünstigungen überhaupt nicht kompensiert werden. Falsch ist die – von der Politik geschürte – Erwartung in der Mittelschicht, dass gerade sie Anspruch auf Hilfsleistungen hätte, weil sie schließlich den Staat zu einem großen Teil finanziere.

Gerade weil die Politiker immer nur das verteilen können, was sie vorrangig der Mitte abnehmen, sollte diese darauf pochen, staatliche Hilfe nur gezielt und in Maßen zu gewähren. Die Linken versuchen wie immer, mit dem Hinweis auf „die Reichen“ Umverteilungsorgien zu starten. Doch weil die Einkommens- und Vermögensspitze so schmal ist und bereits weit überproportional an der Finanzierung des Staates beteiligt ist, geht jede Umverteilung im Steuer- oder Sozialsystem am Ende vor allem zu Lasten der Mitte.

Wenn die Ampel der Mittelschicht jetzt eine Entlastung in Aussicht stellt, sollte jeder Begünstigte im Hinterkopf haben, dass er diese mit umso höheren Abgaben später selbst plus Zinsen und Bürokratieverlusten bezahlen wird. Gerade in der Krise braucht es eine solide Finanzpolitik, die, anstatt auf das Gießkannenprinzip zu setzen, nur den wirklich Bedürftigen hilft und ansonsten die Zukunftsaufgaben nicht vernachlässigt. Dringend nötig wäre zudem eine klare marktwirtschaftlich ausgerichtete Ordnungspolitik, die Deutschland zurück auf den Wachstumspfad bringt. Denn es ist die Wirtschaft, die die materielle Grundlage unseres Wohlstands schafft, nicht der Staat.

BANSBACH kommentiert

Der Artikel ist bereits einige Tage alt und berücksichtigt noch die Diskussion im Frühherbst. Mittlerweile hat die Bundesregierung ihr Konzept eines wirtschaftlichen Abwehrschirms gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges veröffentlicht sowie erste Gesetze durch Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Die Entlastung bei den Strom- und Gaspreisen wird nun nicht nur bestimmten Einkommensgruppen gewährt, sondern sie begünstigt z.B. durch die Reduzierung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen von 19% auf nun 7% alle Haushalte. Nachdem bislang nur Industrieunternehmen Subventionen durch das Energiekostendämpfungsprogramm erhielten, sollen nun durch die Gaspreisbremse (auch Gaspreisdeckel genannt) auch private Haushalte und insbesondere kleinere energieintensive Unternehmen entlastet werden.

200 Milliarden Euro wird die Bundesregierung hierfür investieren und über einen Nachtragshaushalt / Kredit finanzieren. Angesichts des Zeitdrucks war es offensichtlich nicht möglich, die Entlastungen nach dem Grad der Bedürftigkeit zu differenzieren, so dass die Hilfen gießkannenartig verteilt werden. Der Regierung ist jedoch zugute zu halten, dass aufgrund der Eilbedürftigkeit die Hilfen mit möglichst geringem Bürokratieaufwand umgesetzt wurden.

In den zurückliegenden Monaten hat die Bundesregierung bedingt durch die Corona-Pandemie und infolge des Ukraine-Krieges eine so große Anzahl von Gesetzen erlassen, Fördertöpfe aufgelegt und Subventionen beschlossen, dass es nur schwer möglich ist, den Überblick zu behalten. Wenn es Ihnen ähnlich geht, kommen Sie auf uns zu. Wir helfen Ihnen durch den Dschungel der Vorschriften.

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