Er regelt das schon

Mit einem Kommentar von

Dr. Bob Neubert

Wirtschaftsprüfer / Steuerberater

Gut bezahlt, aber letztlich wenig zu entscheiden: Das mittlere Management gerät durch neue Technik zunehmend unter Druck. Fabrikanten wie Hugo Boss ersetzen bereits ganze Führungsebenen durch künstliche Intelligenz.

So manche Chefs haben schon heute ausgedient. Die Näherinnen im Werk des deutschen Modeunternehmens Hugo Boss in der türkischen Großstadt Izmir jedenfalls scheinen ihre direkten Vorgesetzten nicht zu vermissen. Statt menschliche Vorarbeiter leiten Tablet-Computer sie bei der Arbeit an. Die Maschinen messen die Produktivität und schreiben für gute Leistung automatisch Boni gut. Wie viel, das ist in Echtzeit auf dem Bildschirm zu sehen.

„Die Näherinnen waren von den neuen, künstlichen Chefs ganz begeistert“, berichtet Niels Van Quaquebeke. Der Leadership-Professor und Psychologe der privaten Wirtschaftshochschule Kühne Logistics University in Hamburg war zu Besuch in dem digitalen Vorzeigewerk in der Türkei und verstand aus den Gesprächen dort: „Die Frauen waren nicht mehr abhängig von Vorarbeitern, die in ihren Augen willkürlich Informationen und Gratifikationen verteilten. Sie fühlten sich durch die Technik gestärkt und motiviert.“

Kluge Steuerung durch Computer könnte aber nicht nur Chefs in Fabriken überflüssig machen. Der Vormarsch der künstlichen Intelligenz (KI) bringt ganze Führungsetagen in Bedrängnis. Vorgaben des Topmanagements umzusetzen, sie mit Zahlen zu Erfolg oder Auslastung des Betriebs zu hinterlegen und die Mitarbeiter anzuhalten, diese Ziele zu erfüllen – das gehört zu den klassischen Aufgaben des mittleren Managements. Gut bezahlte Vorgesetzte, die letztlich wenig zu sagen haben. Nicht genug jedenfalls, als dass die KI ihren Job nicht bald schon möglicherweise besser als sie selbst erledigen könnte.

In den mittleren Rängen wird mit Sicherheit sehr kräftig ausgedünnt werden“, prophezeit Joachim Hensch. Er berät Firmen in aller Welt über die Möglichkeiten von KI und meldet sich aus Sri Lanka. Dort durchpflügt er gerade für einen Kunden mehr als 20 Textilfabriken mit insgesamt rund 65.000 Mitarbeitern nach Einsparmöglichkeiten. Und ein riesiger Kostenblock sei nun einmal das mittlere Management. „In manchen Fabriken gehen wir von zehn auf fünf Hierarchiestufen runter,“ berichtet Hensch.

Er selbst hat sich einst vom Maßschneider ins Topmanagement von Hugo Boss hochgearbeitet und leitete bis zum Jahr 2000 die Fabrik in Izmir. „Ob in Deutschland, der Türkei oder in Bangladesch, die Aufgaben von mittleren Managern in Konzernen sind oft ähnlich: Sie bündeln Informationen von oben für ihre Mitarbeiter und geben im Haus weiter, was von unten kommt. Es ist eine klassische Sandwich-Position.“

Wichtige Kennzahlen übersichtlich aufzuarbeiten, Vorgaben für Abteilungen daraus abzuleiten, Mitarbeitende anzuleiten, über ihre Zielerreichung auf dem Laufenden zu halten und sie über Boni-System zu motivieren – all das kann inzwischen die Technik mittlerweile nicht nur, sie ist auch noch kostengünstiger als Menschen. Karl Marx beklagte nach der industriellen Revolution die Entfremdung der Menschen in den Fabriken von ihrer Arbeit. Erleben wir mit der technischen Revolution, in der uns Maschinen führen, nun eine Entmenschlichung der Arbeit?

Der Psychologe Van Quaquebeke sieht keinen Grund für Nostalgie. „Wir dürfen nicht großartige Führungskräfte mit KI vergleichen, sondern durchschnittliche. Und die sind heute schon oft überfordert.“ Denn: „Ressourcen sind begrenzt und die Talente auch.“ Durchschnittliche Manager seien eben keine genialen Kommunikatoren, sie schafften es eher selten, ihre Mitarbeitenden zu beflügeln.

Tatsächlich beklagten in einer breit angelegten Umfrage der Unternehmensberatung BCG im Jahr 2020 mehr als 80 Prozent der Manager in westlichen Ländern, ihre Arbeit sei in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden. Mehr als ein Drittel ging bereits damals davon aus, dass ihre Management-Ebene in den kommenden fünf Jahren verschwinden werde.

Das Marktforschungsunternehmen Gartner hatte kurz zuvor eine viel beachtete Studie veröffentlicht. Danach werde KI bis zum Jahr 2030 rund 80 Prozent aller bisherigen Aufgaben des Projektmanagements in Unternehmen übernehmen. Die Möglichkeiten der KI sind für viele Vordenker also bereits seit Jahren präsent. Ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit aber gerieten diese erst so richtig Ende vergangenen Jahres, als der Chatbot Chat GPT frei zugänglich gemacht wurde.

Fabiola Gerpott hat als Professorin für Personalführung an der WHU – Otto Beisheim School of Management – Dutzende von Anwendungsbeispielen im Blick. Die Technik muss menschliche Führungskräfte in ihren Augen nicht zwingend ersetzen. Sie könne ihnen auch dabei helfen, effizienter oder sogar einfühlsamer zu werden, zum Beispiel in Videokonferenzen. „Zoom etwa testet heute schon Möglichkeiten, die Emotionen von Teilnehmern in einem Videomeeting automatisch zu erkennen“, berichtet Gerpott. Managern könnte dann in einem Fenster die Befindlichkeit der Mitarbeiter angezeigt werden. „Nach dem Motto: Anna hat heute noch gar nichts gesagt und wirkt unzufrieden, sprich sie doch einmal persönlich an.“

Kundenberatern einer Bank könne die KI vorschlagen, welche Klienten sie wieder einmal kontaktieren sollten. Sie könne Vorschläge für Einstiegs- und Abschlusssätze für Gespräche liefern, anhand der Kundenportfolien mögliche Themen definieren und den Beratern Hintergrundinformationen aus den Analyseabteilungen der Bank liefern. „So weit sind wir von solchen Szenarien gar nicht mehr entfernt“, sagt Gerpott.

Mehr Technik wird wohl auch in die Personalabteilungen einziehen. Bewerbungen nach Übereinstimmung der Lebensläufe mit den Stellenanforderungen vorauswählen, Besonderheiten in der Berufslaufbahn für ein Gespräch hervorheben, das kann KI schon heute. In den USA führen Firmen wie Hireview für ihre Kunden bereits ganze Jobinterviews per Computer. Die Maschine stellt Fragen an die Bewerber, wertet deren Antworten anhand von Wortwahl, Gestik und Mimik aus und zeigt, wer gut auf die Stelle passen könnte. Die Auswertungen solcher selbst lernender Systeme sind zwar wissenschaftlich durchaus umstritten. Die Arbeitserleichterung für Personaler, die nicht mehr Hunderte von Bewerbungen sichten müssen, aber ist immens.

Tausende von Zustellern bei DHL oder Amazon lassen sich in ihrer täglichen Arbeit schon seit Jahren von Computern dirigieren. Sie brauchen keine Vorgesetzten mehr, die ihnen Fahrtrouten vorgeben und austüfteln, wie sie die Wagen optimal bepacken. Wegeplanung, Chargen-Zuordnung, die einstige Arbeit von ausgebildeten Logistikfachleuten macht längst die KI.

Aber auch für die Vorgesetzten, die ihre Jobs behalten, führt an KI künftig kein Weg vorbei. „Sie müssen lernen, gut mit intelligenten Systemen zusammenzuarbeiten“, sagt Führungs-Professorin Gerpott. Üben können sie das demnächst beim Verfassen von E-Mails. Google und Microsoft arbeiten mit Testversionen von Schreibassistenten. Die sollen etwa helfen, aus Stichworten wohlklingende Texte zu verfassen. Es soll zudem Funktionen geben wie „formuliere die Kritik wertschätzend“ oder „schreibe empathisch“. So mancher Zwischenruf vom Chef dürfte da kaum wiederzuerkennen sein.

BANSBACH kommentiert

Nimmt man sich den Fall der türkischen Näherinnen für Hugo Boss vor, hat man vor sich eher ein Beispiel für das fehlerhafte Verhalten von Führungspersonen und die damit verbundene (und absolut nachvollziehbare) Unzufriedenheit von Arbeiterinnen. Hier wurde zunächst kein Manager durch KI ersetzt – es ist eine Führungskraft gegen eine andere getauscht worden.

Der Fall ist aber ein guter Anstoß darüber nachzudenken, wo KI ihre sinnvollsten und besten Einsatzgebiete findet: nämlich an Stellen, die am einfachsten automatisiert werden können und daraus einen großen Nutzen schlagen. Produktivität in einer Näherei messen und dafür Boni gutschreiben? Dafür braucht es keine direkte menschliche Komponente. Aber das ist nicht erst seit dem „Siegeszug der KI“ so.

Mit diesem Standpunkt als Grundlage können wir uns besser Gedanken zu dem möglichen Verschwinden des mittleren Managements durch KI-Führungskräfte machen. Eine der großen Aufgaben von Managern im mittleren Segment ist kommunizieren und koordinieren; das Managen selbst ist die Mittelsmannposition. Wessen Tagwerk vor allem aus solchen Ausgaben besteht – und wer keine Werte schöpft –, dessen Stelle hat gut betrachtet leider die höchste Wahrscheinlichkeit gefällt zu werden.

Wie aber können sich mittlere Manager auf die Umwälzung in der Arbeitswelt einstellen?

KI nicht unterschätzen
Künstliche Intelligenz schreitet voran und wird mehr und mehr administrative Aufgaben übernehmen. Das ist mittlerweile klar. Manager müssen diese Entwicklung im Blick behalten, um entsprechend reagieren zu können – selbst wenn KI noch nicht im eigenen Unternehmen verwendet wird.

Eigene Menschlichkeit verbessern
Empathie, Koordination, tatsächlich kreatives Denken oder einfach nur zwischenmenschliche Freundlichkeit: Diese Fähigkeiten und Aufgaben kann die KI nur bedingt übernehmen und sie werden von Menschen nicht als echt wahrgenommen – eben weil die Empathie einer künstlichen Intelligenz genau das ist: künstlich.

Menschen zusammenhalten
Eine starke Übernahme von Aufgaben durch künstliche Systeme kann zukünftig für eine Anonymisierung von Unternehmen sorgen. Menschen allerdings wird es immer zueinander ziehen, da sie die Gesellschaft anderer schätzen (und brauchen) und sich aneinander orientieren. Das gilt beispielsweise auch für die Kundenbetreuung: Sie wird einen noch größeren Stellenwert einnehmen, da Menschen auch weiterhin Menschen mehr Vertrauen schenken.

Vorreiter sein
Sobald künstliche Intelligenz Einzug in Unternehmen hält, braucht es Kompetenzen, um eine solche Übergangsphase zu leiten und menschlich zu gestalten. Denn solange in Firmen nicht ausschließlich KIs arbeiten, sind menschliche Mitarbeitende noch immer der entscheidende Erfolgsfaktor.

Vergessen werden darf dabei aber folgendes nicht: Werden Positionen in Unternehmen aufgrund von künstlicher Intelligenz gestrichen oder durch diese ersetzt, kann das eine absolut negative Auswirkung auf die Moral anderer Beschäftigter haben und die Loyalität eigentlich ungefährdeter Top-Performer kann verloren gehen. Mitarbeitende in einem solchen Umfeld werden sich immer die Frage stellen: „Bin ich der/die nächste?“

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