Ökonomen fürchten den Bumerang-Effekt

Mit einem Kommentar von

Dr. Franz-Peter Stümper

Rechtsanwalt / Steuerberater

Ökonomen fürchten den Bumerang-Effekt

Geben Supermärkte die niedrigere Mehrwertsteuer an ihre Kunden weiter? Und was passiert, wenn der Steuersatz steigt?

Wer kein Haushaltsbuch führt, wird es womöglich noch gar nicht bemerkt haben: In Supermärkten wurde die Senkung der Mehrwertsteuer zum 1. Juli zu einem großen Teil an Kunden weitergegeben. Der Preiseffekt lag in den vergangenen Monaten durchschnittlich bei bis zu zwei Prozent, haben Wirtschaftswissenschaftler des Münchner Ifo-Instituts ermittelt. Die Wissenschaftler werteten automatisch die Preise von 60.000 Produkten des Onlineshops der Einzelhandelskette Rewe aus und verglichen sie mit der Preisentwicklung bei der österreichischen Rewe-Tochter Billa im gleichen Zeitraum, um zu wissen, wie sich die Preise womöglich auch in Deutschland ohne Mehrwertsteuersenkung entwickelt hätten.

Das Ergebnis: Während die Preise bei Billa in Österreich seit Anfang Juni zeitweise um bis zu 0,8 Prozent stiegen, sanken sie bei Rewe in Deutschland im Durchschnitt um bis zu 1,2 Prozent. Die maximale Differenz lag also bei zwei Prozentpunkten. Die Preise im Onlineshop entsprachen dabei denen im Supermarkt. Das Ifo-Institut geht davon aus, dass diese Preisentwicklung auf Konkurrenten wie Edeka, Aldi und Lidl übertragbar ist.

„Wenn Rewe als der umsatzstärkste Supermarkt im Onlinebereich die Mehrwertsteuer weitergibt, bleibt den anderen nichts anderes übrig, als mitzuziehen“,

sagt Florian Neumeier, einer der Autoren der Studie. Der Lebensmitteleinzelhandel gilt als einer der umkämpftesten Märkte.

Die Studie macht deutlich, dass Supermärkte wie Rewe die Mehrwertsteuersenkung nicht einheitlich weitergeben. Lediglich bei 15 Prozent der Waren wurden die Preise tatsächlich gesenkt – dafür dort dann besonders stark. So führte der Wettbewerb zwischen den Anbietern beispielsweise bei Alltagsprodukten wie Nudeln und Getränken zu deutlich höheren Rabatten. Bei Büchern oder Schmuck hat sich laut Ifo am Preis dagegen nur selten etwas geändert – zumindest ging es nicht nach unten.

Das bedeutet: Je nachdem was auf dem Einkaufszettel stand, werden einige Verbraucher bei ihren täglichen oder wöchentlichen Einkäufen seit Anfang Juli mehr Geld gespart haben, andere aber weniger. Die ermittelten bis zu zwei Prozent über alle Waren hinweg entsprechen ziemlich genau der Mehrwertsteuersenkung. Wird die Senkung des regulären Steuersatzes von 19 Prozent auf 16 Prozent komplett weitergegeben, müsste das Minus bei 2,52 Prozent liegen. Da für Lebensmittel der reduzierte Satz nun bei fünf statt sieben Prozent liegt, müsste der Nachlass hier nur 1,87 Prozent betragen.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich erfreut. „Die Senkung der Mehrwertsteuer kommt an bei den Bürgerinnen und Bürgern“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den SPD-Politiker und Kanzlerkandidaten.

„Die Preise sind spürbar gesunken. Vor allem im Supermarkt, wo wir uns alle mit dem eindecken, was wir täglich zum Leben brauchen.“

Das helfe nicht nur der Konjunktur, sondern vor allem denen, die nicht so viel auf dem Konto hätten.

Ob dies tatsächlich der Konjunktur hilft, ist allerdings auch nach der Ifo-Studie höchst umstritten. Die Untersuchung liefert zu der politisch entscheidenden Frage, ob die Menschen das gesparte Geld beim Einkauf im Supermarkt tatsächlich ausgeben und dadurch die Konjunktur ankurbeln, keine Erkenntnisse. „Ob es auch zu einer Konsumstimulierung kam, beantwortet diese Auswertung nicht“, sagt Neumeier. Die Studie ist also keine Verteidigung der gerade auch von Wirtschaftswissenschaftlern viel kritisierten Entscheidung der Bundesregierung, die Mehrwertsteuer für sechs Monate zu senken und dafür auf Steuereinnahmen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro zu verzichten. „Wir beim Ifo-Institut halten weiterhin zielgerichtete Maßnahmen wie den Kinderbonus oder das Kurzarbeitergeld für den besseren Weg“, sagt Neumeier. Diese Zahlungen kämen Menschen mit geringerem Einkommen besonders zugute, das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass das Geld schnell ausgegeben werde.

Bei anderen Wirtschaftsforschungsinstituten schätzt man die Ifo-Studie ähnlich ein. Der Einnahmeverzicht des Bundesfinanzministers habe offenbar tatsächlich die Kaufkraft der Menschen gestärkt, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW): „Was daraus aber nicht abgeleitet werden kann, ist, dass diese leichte Preissenkung für die Konsumenten tatsächlich den Konsum angeregt hat.“ Viele Menschen sparen in Zeiten der Unsicherheit wie diesen mehr. Interessanter als der Lebensmitteleinzelhandel sind aus Felbermayrs Sicht Branchen, die teurere Güter verkaufen, beispielsweise Unterhaltungselektronik, Möbel und Autos. Da dort zwei bis drei Prozent direkt einen merkbaren Unterschied auf dem Konto ausmachten. Noch gibt es dazu allerdings keine statistischen Belege.

Abzuwarten bleibt, was die Preise machen, wenn die Mehrwertsteuer am 1.Januar 2021 wieder auf den regulären Satz steigt. „Es besteht die Möglichkeit, dass die Preise dann stärker steigen, als sie vorher gesenkt wurden“, sagt Neumeier. Der gefürchtete Bumerangeffekt ist nachgewiesen: Untersuchungen aus Ländern wie Finnland zeigen, dass sich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer doppelt so stark auf die Preise auswirkten wie die vorherige Senkung.

BANSBACH kommentiert

Der Artikel befasst sich mit der zeitlich befristeten Senkung der Umsatzsteuer vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020. Der reguläre Steuersatz wurde von 19% auf 16% reduziert, der ermäßigte Steuersatz von 7% auf 5%. Sie werden festgestellt haben, dass die Preisauszeichnungen an den Regalen großer Einzelhandelsketten unverändert blieben und mit großen Lettern die Kunden darauf hingewiesen wurden, dass die Kaufpreisreduzierung direkt beim Bezahlvorgang an den Kassen erfolgte. Lidl weist ein Sortiment von rd. 6.800 Produkten aus, Edeka 11.350 Produkte und Baumärkte wie Obi über 50.000 Artikel. Bei dieser immensen Anzahl an Artikeln war eine Neuauszeichnung vielfach nicht möglich, zumal die Entscheidung über die Senkung der Umsatzsteuersätze sehr kurzfristig erfolgte (Gesetzesentwurf vom 12. Juni 2020, Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag am 29. Juni 2020) und zum Jahreswechsel eine erneute Preisauszeichnung zum „alten“ Steuersatz erfolgen müsste. Wir wagen die Prognose, dass in den meisten Fällen lediglich der an der Kasse gewährte Preisnachlass entfällt und keine weitere Preiserhöhung erfolgen wird.

Die zeitlich befristete Gestaltung der Umsatzsteuersätze erfahren wir auch noch in einem anderen Bereich: Um insbesondere die Gastronomie wirtschaftlich zu unterstützen, wurde im Corona-Soforthilfe-Gesetz vom 5. Juni 2020 geregelt, dass für Speisen (nicht für Getränke) der ermäßigte Steuersatz greift; in der Zeit vom 1. Juli – 31. Dezember 2020 somit ein Steuersatz von 5% und vom 1. Januar – 30. Juni 2021 der Steuersatz von 7%.

Diese zunächst einfach anmutenden Regelungen stellen die Gastronomie wie auch die Hersteller von Softwareprogrammen (PMS-Systeme) vor massive Probleme: Denken Sie nur an z.B. ein Frühstück im Hotel, Tagungspauschalen oder die Leistungen von Caterern. Hier muss nun eine Aufteilung in einen ermäßigten und einen regulären Steuersatz (Getränke) vorgenommen werden.

Warum gibt es überhaupt unterschiedliche Sätze in der Umsatzsteuer?

Unser Umsatzsteuersystem besteht seit dem Jahr 1968. Die Verfasser folgten dem Grundgedanken, dass das Existenzminimum für Geringverdiener geschützt und eine Grundversorgung erschwinglich bleiben sollte. „Bestimmte Güter des lebensnotwendigen Bedarfs“ sollten daher einem ermäßigten Steuersatz unterliegen (Regierungsentwurf aus dem Jahr 1963). Nicht nur Lebensmittel, sondern auch z.B. Kultur, Nahverkehr und auch Sport wurden dem lebensnotwendigen Bedarf zugeordnet. Aktuell wird in einem über 140-seitigem Schreiben des Finanzministeriums detailliert geregelt, welches Produkt und welche Dienstleistung welchem Steuersatz unterliegt.

In den Jahren haben sich kuriose Zuordnungen ergeben, die auch Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit sind und dem ursprünglichen Gedanken nicht mehr folgen: Gänseleber, Wachteleier, Riesengarnelen, Gummibärchen, Kartoffelchips und z.B. auch Reitpferde zählen zum Grundbedarf und unterliegen dem ermäßigten Steuersatz – Medikamente, Fruchtsäfte oder Kinderkekse hingegen dem regulären Steuersatz. Verzehren Sie ihr belegtes Brötchen im Café der Bäckerei, fällt der reguläre Steuersatz an, genießen Sie es einige Meter weiter, greift der ermäßigte Steuersatz. Eine der letzten Erfolge der Lobbyisten war die Reduzierung des Steuersatzes auf Übernachtungen, hier mit der Begründung, dass in grenznahen Gebieten ein Wettbewerbsnachteil aufgehoben werden müsse, da in Nachbarstaaten wie z.B. Frankreich Beherbergung bereits reduziert besteuert wurden.

Die Entscheidung über den zutreffenden Steuersatz kann mitunter schwierig sein. Wir beraten Sie gern und helfen bei diesen teils sehr komplexen Fragen.

 

    Ich stimme zu, dass meine Angaben aus dem Formular zur Beantwortung meiner Nachricht erhoben und verarbeitet werden. Die Daten werden nach abgeschlossener Bearbeitung gelöscht. Hinweis: Sie können Ihre Einwilligung jederzeit für die Zukunft per E-Mail an widerrufen. Detaillierte Informationen zum Umgang mit Nutzerdaten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.
    Vielen Dank für Ihre Nachricht.Ihre Anfrage ist soeben bei uns eingegangen.
    Wir werden uns in Kürze bei Ihnen melden.
    Zurück zur Übersicht