Verlust schützt nicht vor Besteuerung

Mit einem Kommentar von

Jens Otto

Steuerberater

Verlust schützt nicht vor Besteuerung

Der Fiskus will die Möglichkeit zur Verrechnung von Kursverlusten einschränken. Das trifft vor allem mündige Anleger, die ihr Aktienvermögen gegen einen Börsencrash absichern wollen.

Die Börsen stehen hoch, und dennoch ist das Interesse an Aktieninvestments so intensiv wie nie. Dank der fulminanten Börsenrallye sitzen Anleger auf stattlichen Kursgewinnen – eigentlich das ideale Umfeld für eine intelligente Absicherungsstrategie. Doch just eine solche intelligente Absicherung gegen einen Rückschlag will der Staat Selbstentscheidern jetzt erschweren.

Darauf läuft zumindest eine Änderung der Steuergesetzgebung hinaus, die bestimmte – bei Sparern beliebte – Anlageprodukte steuerlich schlechter stellt, und zwar deutlich. Die Tücken verbergen sich in der Auslegung von Paragraph 20 Abs. 6 EStG, wo es um die Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften geht. Das Jahressteuergesetz wurde bereits Ende letzten Jahres verabschiedet, das Anwendungsschreiben regelt die konkrete Handhabung durch die Finanzämter. Im Kern läuft die Neuerung darauf hinaus, dass sich private Absicherung gegen Schwankungen an der Börse künftig weniger lohnt. Neu ist der Umgang des Fiskus mit Termingeschäften, mit Instrumenten, die im westlichen Finanzwesen seit Jahrhunderten zur Absicherung genutzt werden. Für einzelne Privatanleger kann es auf eine finanzielle Verschlechterung von mehreren Tausend Euro im Jahr hinauslaufen. Finanzkonzerne und Profianleger sind nicht betroffen.

Besonders brisant ist die Neuregelung deshalb, weil anders als ursprünglich vorgesehen offensichtlich auch Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate betroffen sind. Diese Produkte basieren auf Terminkontrakten (Futures), sind aber rechtlich gesehen etwas anderes, nämlich Schuldverschreibungen der ausgebenden Banken. Da Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate leicht zu erwerben sind und diverse gehebelte Strategien mit geringem Kapitaleinsatz erlauben, sind sie bei Privatanlegern beliebt. Echte Termingeschäfte werden dagegen überwiegend von professionellen Investoren genutzt. Die Zahl der Privatanleger, die Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate handeln, geht in Deutschland in die Hunderttausende. Manche Politiker haben diese Produkte in der Vergangenheit als spekulative Instrumente dargestellt, vor denen Sparer geschützt werden müssten. Jedoch können Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate gerade dank ihrer Hebelwirkung auch – defensiv – zur privaten Risikominimierung eingesetzt werden.

Genau für diesen Zweck nutzen zahlreiche institutionelle Investoren Futures. Eine endgültige Entscheidung, was alles zu den Termingeschäften zählen soll, wird für Ende Februar erwartet. Dann soll die konkrete Umsetzung nach Rücksprache mit den Finanzverwaltungen der Bundesländer beschlossen werden. Fest steht, dass es rund um den Entwurf des Schreibens aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) noch Diskussionsbedarf gibt. In einer Stellungnahme der Deutsche Kreditwirtschaft, die WELT vorliegt, raten die Geldhäuser ausdrücklich davon ab, die beliebten Produkte den Termingeschäften zuzurechnen. Das Finanzministerium verweist auf die abschließenden Beratungen mit den Ländern. „Die Abstimmung der Verwaltungsauffassung, ob Optionsscheine und bestimmte Anlagezertifikate, insbesondere Knock-out-Zertifikate, von der Verlustverrechnungsbeschränkung erfasst sind, ist noch nicht abgeschlossen“, heißt es in einer Antwort des Finanzministeriums auf die WELT-Anfrage.

Im Moment sieht es aber so aus, als würden Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate unter das neue Steuerregime fallen. Für Privatanleger, die Hebelprodukte einsetzen, um sich gegen einen Kurseinbruch am Gesamtmarkt (etwa dem Dax) oder bei Einzelwerten (etwa der Tesla-Aktie) abzusichern, kann das leicht auf ein steuerliches Minus von mehreren Hundert oder gar Tausend Euro hinauslaufen. Generell wird die Verfassungsmäßigkeit dieser Verlustabzugsbeschränkungen bestritten“, sagt Ulf Knorr, Steuerberater und Vorstand bei Ecovis Grieger Mallison in Rostock. Doch bis eine Klage in Karlsruhe Erfolg hat, kann es Jahre dauern. Bis dahin müssen Anleger alle Belege sammeln und archivieren. Es läuft auf die Rückkehr des Schuhkartons voller Zettel fürs Finanzamt hinaus. „Das Schröpfen und die Bevormundung des Privatanlegers setzt sich hier fort, wie schon beim Versuch, eine Finanztransaktionssteuer ebenfalls ausschließlich für Privatanleger einzuführen“, sagt Tobias Kramer, Gastgeber von Echtgeld TV und Herausgeber des Anlegermagazins DZB Portfolio. Nicht nur, dass Banken und Finanzdienstleistern federstrichartig neue Bürokratie aufgebürdet werde. Es sei auch ein Tiefschlag für die Steuergerechtigkeit und die private Vorsorge. „Die Politik und insbesondere die Regierungskoalition sollte bei Gelegenheit mal die Frage beantworten, wie man als Privatanleger außerhalb des finanziell komplett auf Sand gebauten Rentensystems eigentlich vorsorgen soll.“

Technisch gesehen rührt die Schlechterstellung daher, dass seit 2021 Termingeschäfte einen komplett anderen Verrechnungstopf bilden als Aktien. Sprich: Wer sich zum Beispiel mit Termingeschäften gegen einen Kursrückgang der Tesla-Aktie absichern will, kann die Verluste aus der Versicherung seit 2021 nicht mehr mit Gewinnen aus der Tesla-Aktie oder anderen Wertpapieren gegenrechnen. Dabei sind solche Verluste aus Short-Produkten oder Put-Termingeschäften programmiert, wenn der Basiswert steigt. Die Wörter Short oder Put signalisieren, dass der Wert zulegt, wenn der Kurs des Basiswerts fällt. Erfahrene Anleger behandeln derartige Verluste aus Termingeschäften wie eine Versicherungsprämie. Die Möglichkeit zur Verlustverrechnung erleichterte konservative Absicherungsstrategien. „Ab 2021 sind Verluste aus Termingeschäften nicht mehr mit Gewinnen aus anderen Kapitaleinkünften verrechenbar“, umschreibt Michael Siegle von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) die Situation. Ausgleichbar sind damit nunmehr ausschließlich Gewinne aus anderen Termingeschäften, und das unterjährig auch nur bis maximal 20.000 Euro pro Jahr.

Vor allem für fortgeschrittene Anleger, die selbstständig Vermögensaufbau am Kapitalmarkt betreiben, ist die Neuregelung ein Schlag. Mittels Termingeschäften (die meistens eine gewisse Hebelwirkung entfalten) lässt sich ein Portfolio auch in schwierigen Zeiten stabilisieren. Professionelle Investoren bedienen sich dieser Instrumente ständig, es ist quasi ihr täglich Brot. Wenn das abzusichernde Portfolio zum Beispiel einen Wert von 100.000 Euro hat, können Short-Produkte im Wert von 5000 Euro (also fünf Prozent des Portfolios) mit entsprechendem Hebel einen Kurseinbruch von 20 Prozent auf weniger als zehn Prozent des Portfolios reduzieren. Das alles wird nun in mehrfacher Hinsicht schwieriger, offenbar auch für Privatanleger, die bei der Geldanlage strategisch Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate einsetzen. Einer Schätzung zufolge betrifft das mehrere Hunderttausend private Anleger in Deutschland.

Anders als oft dargestellt, dienen ihnen Optionsscheine oder Knock-out-Zertifikate keineswegs nur spekulativen Zwecken. Wie die WHU Otto Beisheim School of Management jüngst ermittelt hat, nutzen fast 70 Prozent der Anleger Hebelprodukte als Absicherungsinstrument für bestehende Depots. Für aktive Anleger, die gerne sogenannte Contracts for difference (CFDs) einsetzen, bringt die Neuregelung auf jeden Fall eine Verschlechterung, unabhängig davon, ob am Ende auch Optionsscheine oder Knock-out-Zertifikate einbezogen werden. Dass solche CFDs, gewissermaßen gehebelte Finanzwetten, als Termingeschäfte gewertet werden, ist beschlossene Sache.

Damit ist auch innerhalb dieser Kategorie die unterjährige Verlustverrechnung auf 20.000 Euro begrenzt. Das mag nach viel klingen, ist für ein größeres Anlageportfolio, das auch der Vorsorge dient, alles andere als üppig. Wer jetzt innerhalb eines Jahres zum Beispiel 50.000 Euro Gewinne aus CFDs generiert, aber im gleichen Jahr 40.000 Euro Verluste, also unter dem Strich nur 10.000 Euro Gewinn, muss trotzdem 30.000 Euro versteuern (50.000 minus maximale Verlustanrechnung von 20.000 Euro).

Ein anderes Beispiel aus dem neuen Steuerregime ist nicht weniger krass. Erzielt ein Anleger 10.000 Euro Gewinne aus Aktienveräußerungen und macht im gleichen Jahr aus einem Termingeschäft 30.000 Euro Verlust, fielen bis 2020 auf den Aktiengewinn gar keine Steuern an – logisch, denn es war ja ein Minusjahr. Seit 2021 sind die 10.000 Euro voll zu versteuern. Nur eine einzige Konzession haben die Bürokraten des Bundesfinanzministeriums gemacht. Ursprünglich sollte die jährliche Verlustanrechnung innerhalb der Termingeschäfte sogar auf nur 10.000 Euro begrenzt sein, im Jahressteuergesetz wurden dann 20.000 Euro daraus.

Außerdem kann ein Teil der Verluste ins nächste Jahr mitgenommen werden, um dann mit Gewinnen verrechnet werden, allerdings nur aus dem gleichen Verrechnungstopf. „Nicht verrechnete Verluste werden fortgetragen und können auch in den Folgejahren nur bis zur Höhe von 20.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden“, erklärt Siegle. Für Selbstentscheider ist das nur ein kleiner Trost, bedeutet intelligente Absicherung an der Börse für viele doch erstmal ein Minus. Und mehr Zettelwirtschaft.

Die Opposition kritisiert die Neuregelung: „Die Beschränkung der Verlustverrechnung ist nicht sinnvoll“, sagt Bettina Stark-Watzinger, Finanzexpertin der FDP. Absicherung sei ein wichtiger Bestandteil privater Anlagestrategien. Wenn der Staat Gewinne voll besteuere, dürfe er Verluste nicht vollkommen anders behandeln: Eine Verrechnung müsse möglich sein. Nicht wenige Steuerexperten halten die Neuregelung sogar für verfassungswidrig.

BANSBACH kommentiert

Berücksichtigung von Verlusten in der Einkommensteuer

Der Gesetzgeber hat im Bereich des Einkommensteuergesetzes verschiedene Varianten definiert, wie Verluste bei der Steuerermittlung zu berücksichtigen sind. Es gibt den horizontalen und den vertikalen Verlustausgleich, der innerhalb eines Jahres greift sowie den Verlustrück- und Verlustvortrag. Hier werden Verluste in anderen Veranlagungszeiträumen berücksichtigt.

Von einem horizontalen Verlustausgleich spricht man, wenn der Verlust innerhalb derselben Einkunftsart (z.B. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen, Land- und Forstwirtschaft oder Vermietung/Verpachtung) berücksichtigt und verrechnet wird. Dieser erste Schritt greift z.B., wenn verschiedene gewerbliche Quellen (Unternehmen/Beteiligungen) bestehen und die Gewinne und Verluste verrechnet werden.

Im zweiten Schritt erfolgt die vertikale Verrechnung von Verlusten. Dies bedeutet, dass die Verluste verschiedener Einkunftsarten miteinander verrechnet werden. Beispielsweise können Verluste im Bereich der Vermietung und Verpachtung mit positiven Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit verrechnet werden.

Übersteigen die negativen Einkünfte die Positiven, so sieht das Einkommensteuergesetz vor, dass nicht verrechnete Verluste zunächst in das Vorjahr zurückgetragen werden und sodann auf künftige Steuerjahre.

Dieses Grundprinzip wird vom Gesetzgeber jedoch in verschiedenen Fällen begrenzt. So können Verluste aus Verlustzuweisungsmodellen ausschließlich mit künftigen Gewinnen derselben Einkunftsquelle verrechnet werden. Ähnliche Restriktionen gibt es für Verluste aus Drittstaaten, aus gewerblicher Tierzucht, Kommanditbeteiligungen, privaten Veräußerungsgeschäften oder Aktiengeschäften, um nur eine Auswahl zu nennen. Der Aufsatz befasst sich mit der gesetzgeberischen Planung einer weiteren Beschränkung des Verlustausgleichs.

Das Gesetz sieht im § 10d EstG vor, dass Verluste, die in einem Steuerjahr nicht ausgeglichen werden, zunächst bis zu einem Höchstbetrag in dem Jahr berücksichtigt werden, welches direkt vor dem Jahr der Verlustentstehung liegt. Dieser Verlustrücktrag kann auf Antrag betragsmäßig begrenzt werden (z.B. wenn der Verlust sich nicht oder nicht vollständig steuermindernd auswirkt). Der nicht verbrauchte Verlust wird dann in den folgenden Jahren berücksichtigt.

Im Zuge der wirtschaftlichen Entlastung der Wirtschaft aufgrund der erlittenen Verluste während der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber die Höchstbeträge für Verlustrück- bzw. Vorträge erhöht.

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