Zweifel an der Grundsteuer

Mit einem Kommentar von

Gesa Jungblut

Steuerberaterin

Ein Gerichtsbeschluss in Rheinland-Pfalz wirft die Frage auf, ob die neue Grundsteuer noch kippen könnte. Viele Immobilienwerte scheinen ungenau zu sein. Experten raten zum Einspruch.

Zwei eher abgelegene Einfamilienhäuser irgendwo in Rheinland-Pfalz sorgen seit einigen Tagen bundesweit für Aufregung. Das eine der beiden Objekte wurde schon 1880 gebaut, hat 72 Quadratmeter Wohnfläche, ist seit Jahrzehnten nicht renoviert worden und steht auf einem kleinen rund 350 Quadratmeter großen Grundstück. Das andere liegt an einem relativ steilen Hang und ist nur über einen Privatweg erreichbar. Es ist mit 178 Quadratmetern Wohnfläche deutlich größer, wurde erst 1977 errichtet und steht auf einem wesentlich größeren Grundstück.

Beide Immobilien haben etwas gemeinsam: Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat die Grundsteuerbescheide für nichtig erklärt, die die Eigentümer erhalten und gegen die sie geklagt hatten. In dem Gerichtsbeschluss werden den zuständigen Finanzämtern nicht nur praktische Fehler bei der Ermittlung der Immobilienwerte angekreidet. Sondern auch grundlegende Zweifel an dem Bewertungsverfahren geäußert. „So sei bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle und wie daher überprüft werden könne, ob die durch das Bewertungssystem erreichten Bewertungsergebnisse ‚relationsgerecht‘ seien, also tatsächlich bestehende Wertunterschiede angemessen abbilden könnten“, zitiert das Justizministerium in Mainz aus dem Beschluss.

Der umständlich formulierte Satz bedeutet nichts weniger als: Das in Rheinland-Pfalz angewandte sogenannte Bundesmodell der reformierten Grundsteuer ist unzuverlässig. Und könnte deshalb verfassungswidrig sein. Einige Juristen und Verbände, allen voran der Eigentümerverband Haus & Grund, sehen inzwischen sogar die Möglichkeit, dass die gesamte Reform kippen könnte. „Die neue Grundsteuer steht auf sehr wackeligen Füßen“, so Haus & Grund-Präsident Kai Warnecke. Steuerpflichtigen Immobilieneigentümern raten Juristen weiterhin, gegen Steuerbescheide sofort Widerspruch einzulegen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Regierung zu einer Reform verpflichtet, weil bei der bisherigen Grundsteuerberechnung seit Jahrzehnten veraltete Immobilien-Einheitswerte verwendet worden waren. Rund 35 Millionen Liegenschaften müssen neu bewertet werden. Ihre Eigentümer haben neue Erklärungen abgegeben, Finanzämter neue Bescheide verschickt – und bereits etliche Millionen Einsprüche erhalten. In Rheinland-Pfalz endete das nun vor dem Finanzgericht. Dort hatten die Richter Zweifel daran, dass die Bodenrichtwerte korrekt ermittelt worden waren. Bei dem ersten der beiden Häuser, dem unrenovierten Uraltbau, hatte der Gutachterausschuss einen Wert von 125 Euro pro Quadratmeter ermittelt. Doch das Finanzamt multiplizierte einen theoretischen Mietertragswert dazu und kam auf 91.600 Euro Gesamtwert – für ein Objekt, das eigentlich ein Fall für den Abriss sein dürfte. Bei dem anderen Haus am Hang hätte es nach Ansicht der Eigentümer einen Abschlag von 30 Prozent geben müssen, doch der Fiskus sah das anders.

Was heißt das nun für andere Eigentümer und das weitere Verfahren? „Nach den Beschlüssen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz ist eine Beschwerde beim Bundesfinanzhof zulässig und erwartbar“, sagt Martin Bünning, Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei Reed Smith in Frankfurt/Main. „Ich rechne damit, dass es dort auf eine Entscheidung hinausläuft. Wenn der Bundesfinanzhof ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass hier eine Verfassungswidrigkeit vorliegt, wird am Ende Karlsruhe entscheiden – nur dort können die Richter das Gesetz insgesamt verwerfen.“

Bünning erläutert den Grund dafür, dass es überhaupt Unklarheiten bei der Neubewertung gibt: „Kern der Entscheidung in Rheinland-Pfalz war die Feststellung, dass der verwendete Bodenrichtwert in vielen Einzelfällen eine zu grobe Typisierung darstellt, besondere Umstände also nicht berücksichtigt werden. Das war bei den dort behandelten Fällen so und insofern lag aus Sicht des Finanzgerichts ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.“

Die Bundesländer wenden verschiedene Grundsteuermodelle an. In elf Ländern gilt das Bundesmodell mit einer Mischung unter anderem aus Bodenrichtwerten, Baualter, Mietwerten und Wohnfläche. Baden-Württemberg hat ein reines Bodenwert-Modell, Bayern arbeitet ausschließlich mit Flächen, andere haben sich für Mischformen entschieden. Von allen verwendeten Parametern ist jedoch der Bodenrichtwert offenbar am streitanfälligsten. Der Wert sei zu ungenau, weil manche Ausschüsse nicht einheitlich arbeiteten, oder weil schlicht zu wenig Transaktionen stattfänden und daher kein sinnvoller Vergleich angestellt werden könne, monieren Kritiker. Lagebedingte Wertminderungen, wie etwa bei dem Fall in Rheinland-Pfalz, würden nicht berücksichtigt. Experte Bünning allerdings ist der Ansicht, dass es noch möglich sei, „konkrete Einzelfragen im Erhebungsverfahren“ zu klären, die Werte also erneut zu ermitteln, „doch das Problem ist auch, dass viele Finanzverwaltungen am Ende ihrer Kapazitäten angelangt sind.“ Auch wenn die Verwaltungen damit noch mehr Arbeit bekommen – Bünning empfiehlt anlässlich der Entscheidung aus Mainz, grundsätzlich gegen jeden offenen Steuerbescheid Einspruch einzulegen.

In Rheinland-Pfalz sieht man die Sache gelassener. „Wir sind von der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells überzeugt“, sagte eine Regierungssprecherin kurz nach dem Urteil. Steuerrechtler Henning Tappe von der Universität Trier räumt ein, dass die Typisierung, also die pauschale Einbeziehung von theoretischen Mietertragswerten und von Bodenrichtwerten „natürlich sehr weit geht“. Im Einzelfall gebe es Ungerechtigkeiten. Die Frage ist nun, ob die ausgeräumt werden können.

Aus Sicht von Haus & Grund ist jedoch jedes Modell, in das Bodenwerte einfließen, von Grund auf falsch. „Wir sehen nicht, warum eine Grundsteuer wertbezogen sein muss, da es um einen Beitrag zur Infrastrukturfinanzierung der Gemeinde geht“, sagt Sybille Barent, Leiterin Steuer und Finanzpolitik bei dem Verband. „Hierfür ist der Umfang der beanspruchten Wohn- und Grundstücksfläche aus unserer Sicht der beste Maßstab.“ Der Gedanke dahinter: Wo viel Wohnfläche genutzt wird, wird in der Regel auch viel kommunale Infrastruktur genutzt.

Dirk Löhr sieht das genau andersherum. Der Ökonom und Professor für Steuerlehre der Universität Trier sagt: „Die Infrastrukturausstattung ist in der Regel in zentralen Lagen am besten, in peripheren Lagen weniger gut. Die Flächeninanspruchnahme pro Haushalt ist aber in zentralen Lagen in der Regel geringer als in peripheren Lagen.“ Deshalb seien die wertbasierten Modelle auch verfassungskonform. Nicht zuletzt wurde die deutsche Grundsteuer jahrzehntelang auf der Grundlage von Immobilienwerten ermittelt.

Das Urteil in Rheinland-Pfalz ist im Übrigen nicht der einzige Richterentscheid mit Grundsatzanmerkungen für oder gegen die Grundsteuerreform. Erst im Oktober entschied das Sächsische Finanzgericht in Dresden in einem strittigen Fall: Die Feststellung der Grundsteuerwerte und die zugrunde liegenden Zahlen sind rechtens. Dem Gesetzgeber sei es erlaubt, die erforderliche Bewertung des Grundbesitzes möglichst einfach und praktikabel zu gestalten. Insbesondere sei es rechtmäßig, bei der Berechnung des Ertragswertes einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie durchschnittliche Nettokaltmieten zugrunde zu legen, ohne alle Eigenheiten des einzelnen Gebäudes zu berücksichtigen. Auch die Verwendung der von Gutachtern ermittelten Bodenrichtwerte sei in Ordnung. Wer also darauf wettet, dass doch noch die gesamte neue Grundsteuer gekippt werden könnte, sollte sich keine allzu großen Hoffnungen machen.

Unabhängig von solchen Grundsatzfragen rät Haus & Grund-Expertin Sybille Barent den steuerpflichtigen Immobilienbesitzern, wenigstens auf korrekte Bodenrichtwerte und Mietertragswerte zu pochen. „Einspruch einlegen und Verfahrensruhe beantragen unter Hinweis auf die anstehende Klärung grundlegender verfassungsrechtlicher Bedenken gegen das Gesetz“, sagt Barent. Und weiter: Besonderes Augenmerk sollte man auf den Bodenrichtwert und den Mietwert legen. Die Bodenrichtwertkarte anschauen und die eigene Bodenrichtwertzone mit den benachbarten Zonen vergleichen, die möglicherweise viel niedrigere Werte, aber ähnliche Wohnqualität aufweisen.“ Schließlich: „Auch die Mietwerte zur Ermittlung des Gebäudewertes sind oft höher als das, was in der Realität durch Vermietung erzielt wird oder werden könnte.“ Wenn nicht die gesamte Reform vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert wird, sollten wenigstens korrekte Werte die künftige Grundsteuer bestimmen.

BANSBACH kommentiert

Da sind wir wieder. Die Grundsteuer(reform) lässt uns einfach nicht los – und ebenso wenig lassen die dazugehörigen Schlagzeilen nach: Wer auf den üblichen Suchmaschinen im Bereich News das Schlüsselwert „Grundsteuer“ anwendet, wird fast immer tagesaktuelle Beiträge finden.
Dazu gehören nicht nur die im Artikel bereits erwähnten etliche Millionen Einsprüche, die von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft so passend als „Einspruch-Tsunami“ betitelt wurden. 50 bis 70 Einsprüche treffen laut dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Florian Köbler, täglich bei den Finanzämtern ein. Damit sind die Finanzämter natürlich ebenso überfordert, wie die Abgabe der Grundsteuererklärung die Bürger überfordert hat. Man mag sich auch fragen, ob es sich dabei nicht um ein selbstgemachtes Problem handelt.
Es werden beispielsweise auch Meldungen laut, dass einige einkommens- und haushaltsschwache Kommunen die Grundsteuer über die Hebesätze erhöhen wollen – und das, obwohl die neue Grundsteuer sich ab 2025 eigentlich einkommensneutral für Gemeinden darstellen soll.
In anderen Städten hingegen gibt es seltsam anmutende Bodenrichtwerte: So hatte die gute Berliner Wohnlage Wannsee zum 01.01.2022 einen Bodenrichtwert von 1.500 EUR (Petzower Straße), die schlechtere Wohnlage Neukölln hingegen bis zu 3.800 EUR (Karl-Marx-Straße). Solche Ungereimtheiten gibt es nicht nur in der Hauptstadt. Waren die Berechnungsgrundlagen für den Normalbürger bisher nachvollziehbar, mögen sie es nach diesem Beispiel nicht mehr sein.
Ebenfalls interessant: In einigen Gemeinden ist die Grundsteuer und das Versprechen, sie nicht zu erhöhen, zum Teil der Wahlkampfversprechen für lokale Ämter geworden – und das trotz der vorgegebenen Einkommensneutralität.
Hinzu kommt, dass das Finanzgericht in Rheinland-Pfalz im Zuge eines Gerichtsverfahrens Zweifel an der allgemeinen Verfassungsmäßigkeit der aktuellen gesetzlichen Bewertungsregeln geäußert hat. Diese Zweifel rühren von Typisierungen und Pauschalisierungen, die bei Bewertungen verwendet werden und eigentlich dazu beigetragen haben, dass die Grundsteuer reformiert werden muss.

Da häuft sich einiges an Durcheinander auf, von dem der Normal-Bürger möglicherweise nichts mitbekommt – denn der ist froh, dass er seine Pflicht der Grundsteuererklärung hat erledigen können und dass das Thema hinter ihm liegt.

Zuletzt möchten wir unsere Leser noch auf etwas hinweisen: Sind Sie im Besitz einer Immobilie und haben Sie Änderungen am Gebäude, Grundstück vorgenommen, müssen Sie diese dem Finanzamt melden. Denn: Möglicherweise ändert sich dadurch ihr Grundsteuerwert oder der Grundsteuermessbetrag, was wiederum die Höhe der Grundsteuer ändert.
Hierzu müssen Sie dem Finanzamt eine sogenannte Änderungsanzeige übermitteln. Das kann über die Plattform ELSTER geschehen – oder Sie lassen diese Arbeit von uns übernehmen.

Generell steht Ihnen BANSBACH bei allen Fragen und Hindernissen rund um die Grundsteuer – und darüber hinaus – tatkräftig zur Seite. Kontaktieren Sie uns, wir kümmern uns darum.

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